Radautz 

Oral History Interview mit Eduard Mohr

In der Südbukowina lernten wir am 03. Oktober 2016 die jahrzehntelang multiethnisch geprägte Stadt Radautz im heutigen Rumänien kennen. Mitte der 1930er-Jahre war Radautz überwiegend deutsch und jüdisch bevölkert, nur rund 25% der Bevölkerung waren rumänisch. Im Zuge unterschiedlicher historischer Entwicklungen (vgl. Einleitungstext) veränderte sich die Bevölkerungszusammensetzung der Südbukowina allerdings erheblich. Die ehemals große deutsche Bevölkerungsgruppe (zeitweise ca. 10.000) verringerte sich auf rund 150 Personen im Jahr 2016. Unser Interviewpartner in Radautz, Eduard Mohr, ist einer von ihnen.

Mohr über seine Kindheit in der Bukowina und der Walachei.

Die Fragen und Narrationen des Interviews bezogen sich dabei nicht nur auf das „Jahrzehnt der Extreme“ und Mohrs frühkindliche Erinnerungen, die (wie Mohr selbst explizit betonte) an einigen Stellen aufgrund seines jungen Alters Ungenauigkeiten erwarten lassen. Vielmehr berichtete Mohr aus seinem gesamten Leben – insbesondere aus seiner Jugendzeit in den späten 1940er- und 1950er-Jahren und vom interkulturellen Zusammenleben im sowjetischen Radautz nach 1945. In einer mittelständischen Familie des Bürgertums aufgewachsen, sprach Mohr dabei wiederholt vom friedlichen, umgänglichen Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Radautz. So sei die gemischte Wohnsituation mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen innerhalb einer Straße typisch gewesen, man habe „sich getroffen und gesprochen“ und untereinander einen gutnachbarschaftlichen Kontakt gehabt. Im Allgemeinen entwirft Mohr ein Bild des harmonischen Zusammenlebens zwischen Rumänen, Juden, Deutschen und anderen Bevölkerungsgruppen in der Bukowina.

Eduard Mohr über seine Lehrkräfte und die Schulzeit.

 

Die Nicht-Umsiedlung seiner Familie im Rahmen der sogenannten „Heim-ins-Reich“-Kampagne 1940 versteht Mohr indes als Zeichen der Familienunabhängigkeit vom NS-Regime. „Wenn wir zum Hitler wollten, konnten wir im Jahre 1940 [hin] – meine Familie ist nicht umgesiedelt“, antwortete Mohr einem jüdischen Beamten nach der Abweisung seines Stipendiumsantrages aufgrund seiner deutschen Herkunft. Zugleich gab Mohr im Interview aber auch zu bedenken, dass er an die durchaus bemerkenswerte Entscheidung seiner Eltern gegen die Umsiedlung (90% der Bukowina-Deutschen verließen 1940 die Gegend), sowie den Prozess der Umsiedlung selbst keinerlei Erinnerungen habe, da er zu dieser Zeit gerade einmal ein Jahr alt gewesen war. Im Allgemeinen waren Mohrs Erinnerungen an Kriegsvertreibungen und Fluchtereignisse altersbedingt recht unscharf und weit weniger detailliert als spätere Ausführungen zu seinem Berufs- und Alltagsleben in der sowjetischen Bukowina.

Am 28. Juni 1939 in Kronstadt (rum.: Brasov) in Siebenbürgen geboren, wuchs Eduard Mohr als Sohn einer Lehrerin und eines Zugführers in der Bukowina auf. Die ersten fünf Jahre seines Lebens verbrachte er im nordbukowinischen Czernowitz, ehe er mit seinen fünf Geschwistern und seiner Mutter im Zuge des Krieges in ein Dorf in der West-Walachei im heutigen Südrumänien flüchten musste. Nach zweijähriger Flucht und Einschränkungserfahrungen bereits im Kindesalter, kehrte Mohr mit seiner Familie im Winter 1946 in die Bukowina zurück. Seither wohnt er mit wenigen Unterbrechungen in Radautz. Mohrs Vater wurde im Krieg als Lokführer eingesetzt und kehrte erst wenig später zurück.

 

 

 

 

Szene während des Gespräches mit Eduard Mohr.
Szene während des Gespräches mit Eduard Mohr.

Einzelne Anekdoten Eduard Mohrs erweisen sich allerdings mit diesem Narrativ der multikulturell-harmonischen Bukowina als nur bedingt kompatibel. Gewissermaßen konzessionsartig, gab Mohr beispielsweise an, dass es trotz der grundsätzlich gemischten Wohnraumaufteilung auch nationalitätenbezogene Wohnviertel mit eigener Architektur gab. Darüber hinaus habe es an einzelnen Stellen gewiss auch Sticheleien zwischen den Bevölkerungsgruppen gegeben, die Mohr zufolge allerdings nie bösartigen Charakter aufwiesen. Eine von Mohr gewünschte Ehe scheiterte dennoch am Veto seiner Mutter. Als Mohr wegen seiner deutschen Herkunft in der Nachkriegszeit mit dem Kommentar er solle „zum Hitler gehen“ ein Stipendium verweigert wurde, deutete Mohr dies – ohne negative Emotionen daraus zu ziehen – als positives Erlebnis um und erklärte sich seinen später an den Tag gelegten Ehrgeiz und seine Zielstrebigkeit auch anhand dieses Ereignisses. Das Bild der harmonischen, von Diskriminierungen befreiten Bukowina wird – wie hier exemplarisch gezeigt – auf diese Weise aufrechterhalten.

 

 

Mohr über den Umgang mit Minderheiten in der Südbukowina.

Das Interview folgte insgesamt einem recht assoziativen, wenig chronologischem Frage- und Antwortmuster. Auf Eduard Mohrs umfangreiche Vorstellung zu Beginn beispielsweise folgte eine Frage zur Wohnsituation nach der Heimkehr in die Bukowina. Diese Form der offenen Fragen führte zu äußerst ausführlichen Antworten Eduard Mohrs, der mit viel Freude pointen- und publikumsorientiert die Fragen beantwortete. An vielen Stellen ging er dabei assoziativ vor. So schilderte er beispielsweise im Rahmen einer Frage zu seiner Schule detailliert den Aufbau des Hauses seiner Familie im Jahr 1949. Auf die Frage nach der herkunftsbedingten Stipendiumsabsage antwortete Mohr im weiteren Verlauf der Antwort – das Thema umlenkend – mit einer genauen Darstellung seiner Prüfungsleistungen und seines beruflichen Werdeganges.

Schließlich griffen die Interviewer auch auf geschlossene Fragen und direkte Erzählanregungen zurück.  So präsentierte uns Mohr auch womöglich weniger ausgewählte, unangenehmere Bestandteile seiner Erinnerung wie die seiner nicht erlaubten Hochzeit mit seiner Jugendliebe.