Lviv

Gebäude der Oper in Lviv.
Gebäude der Oper in Lviv.

Das Lemberger Opern- und Balletttheater glänzt im Baustil der Wiener Renaissance als eine der Hauptsehenswürdigkeiten der westukrainischen Metropole. Das aktuelle Gebäude ist das Ergebnis eines 1895 abgehaltenen Architekturwettbewerbs, welchen der polnische Architekt Zygmunt Gorgolewski (1845–1903) für sich entschied. Die Bauphase dauerte knapp über drei Jahre und erst im Jahr 1939 erhielt das Gebäude unter der Sowjetherrschaft seinen heutigen Namen: Lviv Theatre of Opera and Ballet. Es ist nicht zu verkennen, dass sich der historistische Bau eng an den Vorbildern der Architektur der Renaissance und des Barocks orientiert – konkret an jenem Stil der Wiener Hofoper. Das Lemberger Opernhaus manifestiert jedoch nicht nur in architektonisch prachtvoller Form die Spuren der Habsburger Herrschaft in der Stadt, sondern auch die Signifikanz der damaligen Region Galizien für die regionale Identitätsstiftung der Menschen in der Gegenwart.

Nach der ukrainischen Unabhängigkeit im Jahr 1991 erlangte der „Mythos Galizien“ eine neue Blütezeit und symbolisiert seither die Erinnerung an die pluralistische und multiethnische Lebensweise sowie die gegenwärtige Selbstverortung der Stadt im europäischen Raum. Die Rückbesinnung auf eine galizisch-ukrainische Regionalidentität steht im Zentrum der Wiederentdeckung Galiziens als jene versunkene österreichische Provinz, die nun – nach der Unabhängigkeit des Staates – in ukrainisierter Form wieder auflebt. Galizien wurde als Erinnerungsnarrativ für die Gegenwart wiederentdeckt und die Habsburger Zeit wurde zum Ausgangspunkt einer linearen Entwicklung von einer europäischen Vergangenheit in die europäische Gegenwart. Dies erfüllt unter anderem die Funktion, die gegenwärtige ukrainische Nationalidentität historisch zu legitimieren und sowohl ihre Vergangenheit als auch ihre Gegenwart fest im europäischen Raum zu verankern. Die Feierlichkeiten anlässlich des 170. Geburtstags von Kaiser Franz Joseph verknüpfen diese regionale Rückbesinnung mit dem heutigen ukrainischen Nationalbewusstsein der Stadt und verankern dieses spezifische Narrativ in der regionalen Erinnerungskultur der Menschen.

Die Breite Straße in Lviv.
Die Breite Straße in Lviv.
Baustelle am Ort der ehemaligen Synagoge.
Baustelle am Ort der ehemaligen Synagoge.

Die hier abgebildeten Überreste erinnern an eine Synagoge, welche seit dem 17. Jahrhundert unter den Namen "Goldene Rose" bekannt war. An ihr lässt sich die umfassende jüdische Geschichte Lembergs, zu den Hochzeiten waren über vierzig Prozent der Lemberger Bevölkerung jüdischen Glaubens, ablesen. Die Plünderung der Synagoge im Jahre 1941 und die vollständige Zerstörung durch die Nationalsozialisten 1943 zeugen von den Vebrechen an der jüdischen Bevölkerung. Nach einer Phase der Ignoranz der Überreste, während der sowietischen Herrschaft, wird die Brache seit den 2000er Jahren als Erinnerungsort an die jüdische Geschichte Lembergs wiederentdeckt.

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Haus in Lviv.
Haus in Lviv.

Die Erinnerung an Galizien basiert jedoch nicht nur auf der romantisierten Vergangenheit von Multinationalität und Multiethnizität, sondern fungiert auch als Instrument der identitären Abgrenzung zur Sowjetzeit. Die Demontage der vor dem Opernhaus postierten Leninbüste nach der ukrainischen Unabhängigkeit verdeutlicht nicht nur die Funktion Galiziens als Symbol für alles „nicht-Russische“, sondern auch Lembergs bewegte Stadtgeschichte als politisch, ideologisch und erinerungskulturell umkämpften Raum.

Historische und erinnerungskulturelle Narrative lassen sich in Lemberg nicht nur anhand der zahlreichen und vielfältigen Denkmallandschaften nachzeichnen, sondern begegnen uns auch im touristischen Alltagsleben der Stadt. Einige Vergangenheiten genießen dabei mehr Beliebtheit als andere und die Etablierung verschiedener „Konzeptrestaurants“ verdeutlicht, dass die Lemberger Erinnerungskultur durchaus auch als Verkaufsschlager zahlreicher gastronomischer Betriebe funktioniert. So lockt das Restaurant und Café „Kumpel“ neben traditionell österreichischen Strudelkreationen auch mit einer in altgalizischer Sprache verfassten Speisekarte und im Restaurant „Kryjivka“ – basierend auf dem Narrativ rund um Stephan Bandera und der Ukrainische Aufständische Armee (UPA) – wird das Glas Rotwein als „Blut der ‚Moskali‘“ (unter anderem herablassende Bezeichnung für die russische Bevölkerung) angeboten.

Besonders problematisch erscheint das Restaurant „Zur Goldenen Rose“ als Erinnerung an die jüdische Bevölkerung, in dem der Gast anstelle einer fixen Preisliste um sein Mittagessen handeln muss. Inwiefern das „Schachern“ um den Mittagstisch als adäquate Erinnerung an die jüdische Kultur vor 1939 fungieren kann bleibt strittig und erscheint auch im aktuellen lokalpolitischen Diskurs als umstrittenes Thema. Wohingegen einige Restaurants – vorzugsweise jene österreichischen Kaffeehäuser und Gaststätten – zur lebhaften Erinnerung an die vielschichtige Vergangenheit der Stadt beitragen bleibt die Gefahr bestehen, dass Konzeptrestaurants als kommerzialisierte Touristenattraktionen die ambivalente und bewegte Stadtgeschichte simplifizieren und der reflektierten Aufarbeitung der Vergangenheit im öffentlichen Raum entgegenwirken.

Konzeptrestaurant „Zur Goldenen Rose“
Konzeptrestaurant „Zur Goldenen Rose“
Front des Centers for Urban History of East Central Europe.
Front des Centers for Urban History of East Central Europe.

Center for Urban History of East Central Europe

Das 2004 gegründete Center for Urban History of East Central Europe Lviv hat es sich zum Auftrag gemacht, durch ihre akademischen, kulturellen und geschichtsvermittelnden Aktivitäten die Geschichte Lembergs und Mitteleuropas aufzuarbeiten. Einen großen Wert legen die Akteure dabei auf die forschungsbasierte Geschichtsvermittlung. Angesprochen wird dabei sowohl die wissenschaftliche Öffentlichkeit, als auch Schülerinnen und Studenten sowie die Stadtöffentlichkeit. Die Förderung einer pluralistischen und multikulturellen Erinnerungskultur in Lemberg steht dabei im Mittelpunkt.

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