Mizoch

Interviews in Mizoch

Die Erinnerung an das Beschriebene spricht, wie die Interviews zeigen, aber eben nicht bloß aus den Denkmälern, die in Misotsch zu finden sind. Sie findet sich auch bis in die Gegenwart in dem von den Interviewten Erzählten wieder. Häufig spricht auch heute noch die Angst, etwas vermeintlich Falsche oder Verbotenes zu sagen aus den Zeitzeug/innen. Auffällig ist aber auch, wie sich Erinnerung und Dinge und Geschehnisse, die die Interviewten nicht selbst erlebt, sondern von denen ihnen nur erzählt wurde, überlagern und miteinander vermischen. Dennoch geben die Interviews Aufschluss über unterschiedliche Erinnerungsformen und –kulturen. Die Zeitzeug/innen reagierten auf das Gefragte, je nachdem wie der Interviewende die Frage stellte und formulierte, unterschiedlich. Sie sprachen, auch das wurde schnell offenbar, zum Einen über Dinge, die sie sehr offensichtlich schon des Öfteren erzählt haben, aber zum Anderen auch, je nachdem, was gefragt wurde, über Erlebnisse und Erinnerungen, die eventuell schon, auch für die Interviewten selbst, seit längerem nicht mehr sehr präsent waren.

Neonila Panjocha

Die von uns Interviewte Neonila Panjocha wurde 1929 geboren und lebte in einem Dorf in der Nähe von Misotsch. Ihre Mutter, die polnischer Herkunft war, wurde, wie sie es in dem mit ihr geführten Interview beschreibt, von Mitgliedern der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) umgebracht. Neonila Panjocha selbst war mit einem Ukrainer verheiratet, mit dem sie zwei Kinder hatte. Sie beobachtete nach eigener Aussage die Plünderungen der jüdischen Häuser durch ukrainische Dorfbewohner/innen.
In dem mit ihr geführten Interview erzählt sie von den von ihr erlebten, traumatischen Ereignissen während des Zweiten Weltkrieges. Der thematische Schwerpunkt während des Gesprächs mit lag auf den an ihrer Familie verübten Verbrechen während der Zeit der deutschen Besatzung sowie ihrer Erinnerung an das Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen in Misotsch, sowohl vor, während als auch nach dem Krieg. Während des Interviews wurde schnell deutlich, dass die Erinnerung an das Erlebte Neonila Panjocha noch bis in die Gegenwart beschäftigt und kaum vielleicht auch niemals, zu verarbeiten ist.
Doch obwohl es ihr, gerade dann, wenn es um ihr persönliches Schicksal sowie das ihrer Familie ging, sichtlich schwer fiel, über das Geschehene zu sprechen, teilte sie in dem mit ihr geführten Interview die traumatischen Erfahrungen mit den Studierenden und gab Auskunft, darüber wie sie die Zeit des Krieges erlebt hat. Bedenkt man etwa, dass sie teilweise auf einfache, geschlossenen Fragen Antworten gab, die über das eigentlich Gefragte hinausgingen, wird schnell deutlich, dass sie es als positiv empfand, dass eine große Gruppe von Studierenden sich für das von ihr Erlebte interessierte. Auch wenn das Interview in einem der Räume der Gemeindeverwaltung geführt wurde, schien es, als würde die Interviewte weitestgehend authentisch auf die ihr gestellten, teils offenen, teils eher geschlossenen Fragen antworten und als wäre es ihr ein Anliegen, das Erlebte so zu erzählen, wie sie es tatsächlich erinnert. So erzählte Panjocha unter anderem davon, wie sie am 14. Oktober 1942 beobachtete, wie die Juden/innen aus dem Ghetto in einer Kolonne weggeführt wurden.
Ukrainische Studentin mit der Zeitzeugin Neonila Panjocha.
Ukrainische Studentin mit der Zeitzeugin Neonila Panjocha.
Deutsche und ukrainische Studierende gemeinsam mit den Interviewpartnern
Deutsche und ukrainische Studierende gemeinsam mit den Interviewpartnern

Vera Poskrebysheva

Vera Poskrebysheva wurde 1932 in Polen geboren und lebte in Misotsch. Ihre Mutter starb als sie noch ein kleines Mädchen war. Von 1950 bis 1960 lebte sie mit ihrem russischen Ehemann in Russland. 1960 kehrte sie nach Misotsch zurück. In dem Interview, welches mit ihr geführt wurde, berichtet Vera Poskrebysheva von dem Zusammenleben der Menschen verschiedener Ethnien, welches, wie sie es beschreibt vor dem Krieg und der Besatzung durch die Deutschen stets friedlich gewesen war, den Repressionen unter deutscher Besatzungsmacht und den von ihr nach eigener Aussage teilweise selbst beobachteten Verbrechen der Deutschen an den jüdischen Dorfbewohner/innen.

Vasyl Prytschepa

Vasyl Prytschepa wurde 1931 geboren. Er lebt schon sein ganzes Leben in Misotsch, sein Vater war von 1939-1941 Ortsvorsteher. Während des Krieges wurde sein Vater von den deutschen Besatzern verhaftet und entkam nur knapp dem Tod. Vasyl Prytschepa war außerdem direkter Augenzeuge des Massakers an den Juden und den späteren Exekutionen an denen, die jüdische Kinder versteckten.
In dem mit ihm geführten Interview sprach er mit den interviewenden Studierenden vor allem über die Verbrechen an den Juden/innen in Misotsch, aber auch über die, die an seiner Familie verübt wurden, sowie über den Umgang seiner Familie mit den Juden und der Kriegssituation. Auch das Zusammenleben der Menschen verschiedener Ethnien in Misotsch wurdethematisiert. Offen gab Vasyl Prytschepa den Studierenden Auskunft über seine Erinnerung an die traumatischen Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges. Er wurde Zeuge der Massenerschießungen und beobachtete, wie er es während des Interviews beschrieb, wie Kinder, Frauen und Männer auf offener Straße erschossen wurden. Detailliert gab er Auskunft über seine Erinnerung an die Vorgehensweise des Erschießungskommandos, welches er bei der Durchführung der Morde beobachtete.
Prytschepa schien es, ähnlich wie Neonila, als etwas Positives zu empfinden, dass jemand sich für das von ihm Erlebte interessierte und ihn nach seinen Erinnerungen daran fragte. Seine detaillierten Ausführungen lassen aber dennoch vermuten, dass er teilweise tatsächlich Erlebtes, höchstwahrscheinlich unbewusst, mit seinen eigenen Erinnerungen vermischte. Die teilweise sehr offenen Fragen ließen ihm den Raum, auch Gedanken und Erfahrungen mit den Studierenden zu teilen, nach denen er nicht direkt gefragt wurde, an die er sich aber im Laufe des Gesprächs erinnerte.

Ursprünglich errichtete man das Denkmal in den 1960er Jahren für gefallene sowjetische Soldaten, doch in den 2000ern erhielt das Denkmal eine neue Inschrift, die da lautete: „Ewiges Andenken den treuen Söhnen, die für die Würde und Unabhängigkeit unseres Landes starben“. Allerdings fanden lokale Historiker heraus, dass es sich um ein Kollektivgrab von NKVD-Mitarbeitern handelte, die im Kampf gegen die ukrainischen Nationalisten gefallen waren. Nach unserer Abreise erhielten wir die Nachricht, dass die Administration des Gebiets Rivno die Inschrift des Denkmals erneut ändern möchte. Ab dem Frühjahr 2017 wird dort Folgendes zu lesen sein: „Den Mitarbeiter der sowjetischen Sicherheitsdienste, welche im Kampf gegen die UPA und die OUN in der Zeit zwischen April 1944 und Anfang der 1950er Jahre fielen.“

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