Münchenthal

Nachdem Galizien ab Ende des 18. Jahrhunderts an die Habsburgermonarchie als Königreich Galizien und Lodomerien angeschlossen wurde, wanderten tausende Siedler/innen aus dem süddeutschen Raum in die Region aus und ließen sich dort nieder. In dieser Migrationswelle entstand 1784 auch Münchenthal, in welchem, im Gegensatz zu anderen kontemporären Siedlungsgründungen, von Beginn an verschiedene Ethnien koexistierten. So lebten in Münchenthal Deutsche, Polen und Ukrainer zusammen, bis der Zweite Weltkrieg für eine Zäsur der Multiethnizität sorgte.

Im Zuge des Ribbentrop-Molotow-Paktes im August 1939 sicherten sich die beiden Parteien zu, dass die im jeweils anderen Teil Lebenden in das Staatsgebiet ihres Landes umsiedeln konnten. Die praktische Durchführung propagandierte das Dritte Reich als Aktion „Heim ins Reich“. Auch viele in Münchenthal und Galizien lebende Deutsche wurden in das Warthegau umgesiedelt, sodass zum Ende des Jahres 1940 keine Deutschen mehr in Münchenthal lebten. Als die Wehrmacht 1941 Lemberg eroberte, wurde auch Münchenthal Teil des Großdeutschen Reiches; ehe es Ende Juli 1944 von der Roten Armee zurückerobert wurde.

Der umstrittene Brand der deutschen katholischen Kirche

Ein wichtiger Themenschwerpunkt war der Brand in der römisch-katholischen Kirche im Jahr 1944, welche heute nur noch als abgebrannte Ruine existiert. Sie wurde früher hauptsächlich von den Deutschen und Polen benutzt, da diese Bevölkerungsgruppen dem katholischen Glauben angehörten. War der erste Priester dort Deutscher gewesen, folgten auf ihn polnische Priester, die teilweise harsch gegen die deutsche Bevölkerung vorgingen. So wurde das Beten und Singen auf Deutsch verboten und ein deutscher Siedler, der sich nicht daran hielt, wurde vier Wochen im Gefängnis festgesetzt. Außerdem bezichtigten die deutschen Siedler einen Priester, die Messgegenstände aus der Kirche nach Polen gebracht zu haben. Die Gemeinde war dazu gezwungen, diese zu ersetzen. Im Ersten Weltkrieg wurde die Kirche von der russischen Armee geplündert. In der Zwischenkriegszeit wurde die Kirche wiederaufgebaut und aufwendig saniert.

Die katholische Kirche in Münchenthal heute.
Die katholische Kirche in Münchenthal heute.

Wann, wie oder von wem die Kirche niedergebrannt wurde ist bis heute noch umstritten; es existieren mehrere Versionen der Ereignisse. Eine Version besagt, dass die Kirche als Kollateralschaden im Krieg zerstört wurde, schließlich wurde im Krieg viel zerstört. Hieraus entstand wahrscheinlich das Gerücht, dass die Rote Armee für die Zerstörung verantwortlich ist. Dies berichtet auch eine Bewohnerin von Münchenthal berichtet, dass die Kirche von der sowjetischen Armee, der UPA und von Polen niedergebrannt wurde, aber sicher sei sie sich nicht.

 

Eine weitere Frau aus dem Dorf sagte, dass Vandalen die Kirche anzündeten, aber die meisten Bewohner Münchenthals glauben, dass UPA verantwortlich war. Bekannt ist auch nicht, ob die Kirche während oder nach dem Zweiten Weltkrieg niedergebrannt wurde. Auch wurde nach dem Brand ein verdächtiger Dorfbewohner/innen von der lokalen Bevölkerung ermordet, der zufällig auch Mitglied der UPA gewesen sein sollte.

 

Ebenfalls berichtet ein lokaler Experte, der sich auf polnische Historiker beruft, dass UPA für den Brand verantwortlich war.

Es ist offensichtlich, dass es innerhalb der Dorfgemeinschaft keine Einigung darüber gibt, was mit der Kirche genau passiert ist und wer für den Brand verantwortlich war. Ebenfalls ist unklar, wann die Kirche abbrannte. Es ist interessant, dass obwohl einige Augenzeugen/innen von den Ereignissen die mit dem Brand zu tun haben berichten, sich niemand sicher festlegen kann oder will.

 

Iryna Paduk

Im Gespräch mit der Münchenthaler Dorfbewoherin Iryna Paduk .
Im Gespräch mit der Münchenthaler Dorfbewoherin Iryna Paduk .

Interviews

Die in Münchenthal interviewten Frauen konnten aufgrund der bewegten und ereignisreichen Vergangenheit der Region Galizien und des Dorfes Münchenthal ein Bild darstellen, welches geprägt von einer Zeit des ständigen Umbruchs und des Zweiten Weltkrieges mit dessen Folgen sehr facettenreich ist.

 

Im Laufe des Aufenthalts in Münchenthal wurden zwei Interviews aufgenommen: Die beiden Zeitzeuginnen Iryna Paduk und Ustyna Rusjak gaben ein Zeugnis über den Kriegsausbruch und die Frage nach den Konflikten zwischen den verschiedenen Nationalitäten, die sich im Dorf nach den Zwangsdeportationen- und Umsiedlungen ab 1939 herauskristallisierten.

Iryna Paduk wurde 1933 im polnischen Radymno geboren. Im Jahr 1940 wurde ihre Familie nach Münchenthal zwangsumgesiedelt. Die Mutter war zwar Polin, aber da der Vater Ukrainer war, wurde die Familie nach Münchenthal geschickt. Sie selbst bezeichnet sich als ukrainisch. Während des Interviews sprach sie meistenteils ukrainisch. Vereinzelt kamen jedoch auch polnische Ausdrücke vor. Auf polnische Nachfragen antwortete sie auf Polnisch.

 

Beim Interview mit Frau Paduk waren neben neun Studierenden aus der Ukraine und aus Deutschland ein Historiker aus der Ukraine präsent. Des Weiteren hörten ukrainische Handwerker zu.

 

Wichtig ist zu erwähnen, dass die Interviewte Iryna Paduk zur Zeit des Kriegsbeginns erst sechs Jahre, und bei der Umsiedlung nach Münchenthal gerade einmal sieben Jahre alt war. Auch wenn sie aufgrund ihrer polnischen Mutter Polnisch sprechen konnte, betonte sie mehrfach im Interview, dass sie sich als Ukrainerin fühlt.  Ebenfalls, genoss sie ihre Schulbildung auf Ukrainisch, so dass sie von frühster Kindheit an ukrainisch geprägt wurde.

Frau Paduk erzählte, dass sie selbst die Deutschen nicht mehr als Dorfbewohner/innen von Münchenthal erlebte aber dennoch sind Erinnerungen an die Deutschen im Dorf nach wie vor allgegenwertig. So wusste sie beispielsweise genau, dass ihr Haus früher einer deutschen Familie gehörte oder wo im Dorf die Deutschen wohnten. Auch wenn die Interviewte sich noch sehr genau an die deutsche Besatzung und die polnisch-ukrainischen Konflikte erinnern konnte, schien es ihr wichtig zu betonen, dass das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien problemlos verlief. So nannte sie beispielsweise die oben genannten Konflikte ein „Missverständnis“.

Insgesamt beleuchtet Iryna Paduk in dem Interview ihre komplette Lebensgeschichte, mit großem Fokus auf der Kindheit, nationalen Konflikten und dem Ausbruch des Krieges.

Ustyna Rusjak

Das Interview mit Ustyna Rusjak wurde in ihrem Haus aufgenommen. Neben neun Studierenden aus der Ukraine und Deutschland waren während der Aufzeichnung noch zwei Historiker aus Deutschland, sowie ein lokaler Experte und der Bürgermeister des Dorfes anwesend.

Frau Rusjak, die 1935 in Münchenthal geboren wurde, wohnte ihr ganzes Leben schon in dem Dorf. Sie besuchte die erste Klasse der deutschen Schule, ehe diese im Anschluss durch eine ukrainische ersetzt wurde. Allerdings waren ihre Klassenkamerad/innen alles Ukrainer, da zu dem Zeitpunkt kein Deutscher mehr in Münchenthal wohnte. Sowohl ihr Ehemann, als auch zwei ihrer Onkel waren für eine bestimmte Zeit in Deutschland. Unklar ist jedoch, wann und warum sie dorthin gingen und auch nach Rückfragen konnte diese Frage nicht beantwortet werden. Während der Ehemann und einer der Onkel nach Münchenthal zurückkehrten, ging der andere Onkel in die USA und kehrte sein Leben lang nicht mehr in die Ukraine zurück.

Vergleichbar mit den Aussagen von Frau Paduk, war es auch Frau Rusjak wichtig zu betonen, dass früher alle Ethnien friedlich koexistierten, obgleich sie selbst angab sich nicht an diese Zeit erinnern zu können. Ebenso berichtet Ustyna Rusjak von der deutschen Vergangenheit und der Erinnerungskultur an diese Zeit. Da auch sie sich gut erinnern konnte, wo die deutschen Häuser standen, scheint es eine aktive Erinnerungskultur im Ort zu geben. Ein weiterführender Faktor, der eventuell darauf zurückzuführen ist, dass sie ihr gesamtes Leben in Münchenthal verbrachte, ist die Tatsache, dass sie auch über viele Besucher/innen die über die Jahrzehnte den Ort besuchten berichten konnte.

Es bleibt festzuhalten, dass die Erzählung des friedlichen multiethischen Zusammenlebens bei den beiden Interviewten dominant blieb. Trotz dieser klaren Betonung wiesen vereinzelte Aussagen auf mögliche Konfliktpotenziale/Spannungen hin. Demnach lebten die verschiedenen Ethnien wohl voneinander getrennt („in der Straße wohnten die Deutschen“) und auch in Häusern verschiedener Qualität und Lage. Allerdings wurde auf diese Unterschiede nicht weiter eingegangen, da die Interviewten zu der Zeit noch zu jung waren und keine genaue Beschreibung mehr liefern konnten.

Interview im Haus in Münchenthai (Muschylowytschi)
Interview im Haus in Münchenthai (Muschylowytschi)