Radautz - Südbukowina

Radautz - Multiethnisches Zentrum der Südbukowina?

Radautz, eine kleine rumänische 23.000 Einwohner Stadt nahe der ukrainischen Südwestgrenze, war eine der letzten Stationen unserer Reise, jedoch nicht weniger spannend und von besonderer Bedeutung. Rădăuți, Radóc, Radevits, Radowce, oder Радівці (Radiwizi) –  schon allein diese Namen für das Städtchen (rumänisch, ungarisch, jiddisch, polnisch und ukrainisch) verdeutlichen nicht zuletzt die Diversität und die Pluralität, die es im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat. Ähnlich wie in Czernowitz existiert hier ein Mythos von ethnischer Vielfalt, was insbesondere durch die Anzahl der staatlichen Einflüsse unterstrichen wird.

 

So gehörte die Stadt kurz nach ihrer ersten urkundlichen Erwähnung am Ende des 14. Jahrhunderts zum Fürstentum Moldau war im weiteren Verlauf der Geschichte dem Osmanischen Reich tributpflichtig, bis es 1775 in die Hände der Habsburgermonarchie überging. Hier setzt wohl das erste Mal der Einfluss der „Volksdeutschen“ ein. Zahlreiche Schwaben, unterstützt durch die Monarchie, siedelten sich in Radautz an.

 

Nach der Niederlage Österreichs im Ersten Weltkrieg wurde die Stadt dem rumänischen Königreich zugeteilt; dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass bis in die vierziger Jahre fast die Hälfte der Einwohner Raudautzs deutsch sprachen. Neben den sogenannten Buchenlanddeutschen, welche bis auf eine kleine Minderheit durch die NS-Aktion „Heim ins Reich“ ab Ende der 30er Jahre aus Radautz verschwanden, gab es auch die zweitgrößte jüdische Gemeinde in der Bukowina, deren Mitglieder größtenteils der deutschen Sprache mächtig waren.

 

Zum Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich jeweils recht gleich verteilt circa 1/3 der drei Ethnien (Juden, Deutsche und Rumänen) in Radautz finden. Die Juden, welche von der Habsburgermacht profitieren, waren insbesondere in der Industrie und Wirtschaft tätig (Knopf- und Zuckerfabrik, Banken und Hotels waren vor allem in jüdischer Hand). In den 30er Jahren änderte sich dies jedoch immer drastischer.

Gruppenfoto
Gruppenfoto vor dem deutschen Haus in Radautz am 03.10.2016

Im Königreich Rumänien setzte die Regierung immer weitere antisemitische Gesetze durch, wie z.B. ein Verbot der autonomen Selbstverwaltung, und kleinere Pogrome häuften sich auch in Radautz. Trotz zahlreicher Proteste der jüdischen Gemeinde, wie durch eine Fahrt zum einflussreichen Rabbi in Bukarest, wurde eine strikte nationale Rumänisierungspolitik vorangetrieben. Beispielsweise durfte der Schulunterricht nur noch auf Rumänisch gehalten werden, welches nur einer von vielen Gründen für eine Häufung der Aliyah[1] wurde. Nach ersten Ermordungen führte weitere zahlreiche durch heimkehrende rumänische Soldaten nach der zunächst erfolgreichen deutsch-rumänischen Offensive gegen die Sowjetunion dazu, dass sich in Radautz immer mehr Juden aus den umliegenden Gemeinden sammelten. Alle der bis zu zehntausend in Radautz verbliebenen Juden wurden jedoch ab Ende 1941 deportiert und mit Güterwagons nach Transnistrien gebracht. Fast ein Drittel der jüdischen Bevölkerung konnte glücklicherweise überleben, was vor allem der Organisation der Rabbis im Lager zu verdanken ist. Fast alle der Überlebenden siedelten sich jedoch nicht wieder in ihren Heimatstädten oder Dörfern an, sondern verließen Rumänien nach dem Krieg.

 

Seit dem Ende des Weltkrieges ist von der einstmaligen ethnischen Diversität nicht mehr viel zu spüren, auch wenn es heutzutage noch kleine Minderheiten bestehend aus Russen, Ukrainern und auch Deutschen gibt. Einer dieser verbliebenden Bukowinadeutschen ist Eduard Mohr (1939). Dieser wohl einen unserer charismatischsten Interviewpartner wird im folgenden Video zu sehen sein und seine Sicht der Pluralität in Radautz offenlegen.

[1] Immigration der in der Diaspora lebenden Juden in das Land Israel.