Jüdisches Erbe

Drohobych

Historische Entwicklung des jüdischen Lebens

 

Bereits das Mittelalterliche Drohobych stellte ein wichtiges Zentrum jüdischen Lebens in Galizien dar. Sowohl die Mittelalterliche Salzproduktion als auch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert waren stark jüdisch geprägt. Beispielsweise arbeitete um die Jahrhundertwende der Großteil der jüdischen Bevölkerung unter harten Bedingungen in der Erdölindustrie; andere waren als Fabrikbesitzer oder Händler zu Reichtum gekommen. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs machte die jüdische Bevölkerung knapp ein Drittel der insgesamt 40.000 Einwohner der Stadt aus. Dabei stellte die jüdische Bevölkerung Drohobychs keineswegs eine homogene Gruppe dar: Vielmehr prägten verschiedene religiöse und säkulare Strömungen, sowie verschiedene soziale und politische Gruppen das gesellschaftliche Leben des jüdischen Drohobychs.

 

Die deutsche Besatzung ab 1941 beendete das jüdische Leben in der Stadt tragisch. Die meisten jüdischen Einwohner wurden durch die Besatzer, teilweise unterstützt durch die lokale Bevölkerung, auf offener Straße oder in einem nahegelegenen Waldstück ermordet; andere wurden in das Vernichtungslager Belzec deportiert. Von den etwa 17.000 jüdischen Einwohnern Drohobychs waren im August 1944 noch etwa 400 am Leben. Die wenigsten Überlebenden kehrten nach Kriegsende in die Stadt zurück, die meisten ließen sich in Israel oder Amerika nieder. Heute erinnert im Stadtbild nur wenig an die jüdische Vergangenheit Drohobychs. Die Erinnerung wird vor allem durch private Initiativen aufrechterhalten: So wird beispielsweise die alte Synagoge im Zentrum der Stadt mit Mitteln eines privaten Förderers aufwendig renoviert. Nach Fertigstellung der Renovierungsarbeiten soll die Synagoge durch die heute existierende kleine jüdische Gemeinde Drohobychs genutzt werden.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Bruno Schulz.
Ukrainer, Pole, Jude?

 

Einer der prominentesten Söhne des jüdischen Drohobsch ist der 1892 geborene jüdisch-polnische Maler und Schriftsteller Bruno Schulz. In den 1930er Jahren fand sein literarisches Werk unter polnischsprachigen Rezipienten starken Anklang. Der Autor phantastischer Erzählungen gilt heute als einer der bedeutendsten polnischsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

1942 wurde Bruno Schulz während eines Massakers an der jüdischen Bevölkerung Drohobych. Vor seinem Tod wurde Schulz von dem für seine Brutalität berüchtigten SS-Hauptschaarführer Felix Landau gezwungen, dessen Familienvilla mit Fresken zu verzieren. Nachdem die so entstandenen Fresken lange Zeit aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwundenen waren, wurden sie 2001 im Zuge von Dreharbeiten an einem Film über Bruno Schulz wiederentdeckt.Nach ihrer Entdeckung standen die Fresken im Zentrum einer Kontroverse zwischen dem Polnischen, Ukrainischen sowie dem Israelischen Staat. Nach der Entdeckung der Fresken hatten Mitarbeiter der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem einen Teil der Fresken nach Israel gebracht. Vertreter der polnischen und Ukrainischen Seiten prangerten die Aktion als eine illegale Entführung ihres jeweiligen nationalen kulturellen Erbes an, während Vertreter Jad Vashems auf die Legalität der Aktion bestanden und auf die sorgfältige Bewahrung der Erinnerung an das Schicksal des Juden Bruno Schulz während des Holocaust verwiesen.

Die Kontroverse beschränkte sich nicht nur auf diplomatischen Austausch, sondern erstreckte sich durch Berichterstattung und Kommentierung von Personen des öffentlichen Lebens auch in die öffentliche Ebene. Letztlich wurde der Streit beigelegt und die Beteiligten einigten sich auf eine 20 Jährige Leihgabe der Kunstwerke an Israel. Heute nimmt die Erinnerung an Bruno Schulz großen Raum in der Erinnerungslandschaft der Stadt ein. In seinem Gedenken finden beispielsweise regelmäßig Festivals mit Aufführungen seiner Werke statt. Im Jahr 2003 wurde im Pädagogischen Institut Drohobitsch ein Bruno Schulz Museum eröffnet.

77

zu unseren Eindrücken in Drohobych & Stryj

Jüdische Vergangenheit in Lviv

Die hier abgebildeten Überreste erinnern an eine Synagoge, welche seit dem 17. Jahrhundert unter den Namen "Goldene Rose" bekannt war. An ihr lässt sich die umfassende jüdische Geschichte Lembergs, zu den Hochzeiten waren über vierzig Prozent der Lemberger Bevölkerung jüdischen Glaubens, ablesen. Die Plünderung der Synagoge im Jahre 1941 und die vollständige Zerstörung durch die Nationalsozialisten 1943 zeugen von den Vebrechen an der jüdischen Bevölkerung. Nach einer Phase der Ignoranz der Überreste, während der sowietischen Herrschaft, wird die Brache seit den 2000er Jahren als Erinnerungsort an die jüdische Geschichte Lembergs wiederentdeckt

Baustelle am Ort der ehemaligen Synagoge.
Baustelle am Ort der ehemaligen Synagoge.

Besonders problematisch erscheint das Restaurant „Zur Goldenen Rose“ als Erinnerung an die jüdische Bevölkerung, in dem der Gast anstelle einer fixen Preisliste um sein Mittagessen handeln muss. Inwiefern das „Schachern“ um den Mittagstisch als adäquate Erinnerung an die jüdische Kultur vor 1939 fungieren kann bleibt strittig und erscheint auch im aktuellen lokalpolitischen Diskurs als umstrittenes Thema. Wohingegen einige Restaurants – vorzugsweise jene österreichischen Kaffeehäuser und Gaststätten – zur lebhaften Erinnerung an die vielschichtige Vergangenheit der Stadt beitragen bleibt die Gefahr bestehen, dass Konzeptrestaurants als kommerzialisierte Touristenattraktionen die ambivalente und bewegte Stadtgeschichte simplifizieren und der reflektierten Aufarbeitung der Vergangenheit im öffentlichen Raum entgegenwirken.

Konzeptrestaurant „Zur Goldenen Rose“
Konzeptrestaurant „Zur Goldenen Rose“

Jüdische Spuren in Ternopil.

Historische Entwicklung

 

Eng verbunden mit der Stadtgeschichte Ternopils ist das jüdische Leben in der Region. Kurz nach Gründung der Stadt im Jahre 1540 siedelten sich zahlreiche Juden in Ternopil an. Ab 1550 war es ihnen erlaubt, in allen Teilen der Stadt abseits des Marktplatzes zu siedeln. Während zahlreicher Überfälle im 17. Jahrhundert waren die Juden ein wichtiger und aktiver Bestandteil bei der Verteidigung des Ortes. Davon zeugt auch die Errichtung einer befestigten Synagoge, die sogar mit Schießscharten ausgestattet war. Während der Kosaken-Aufstände unter Chmelnyzkyj gegen die polnische Adelsrepbulik floh ein Großteil der in der Stadt lebenden Juden – die im Ort Verbliebenen massakrierten die Truppen Chmelnyzkyjs. Nur mühsam erholte sich die jüdische Bevölkerung von diesem Schlag. Da die meisten Juden in kaufmännischen und Händlerberufen tätig waren, verzögerte sich die Entwicklung der Stadt enorm.

Ab 1740 bekräftigte die polnische Herrschaft die Privilegien der Juden – sie durften fortan in jedem Teil der Stadt Handel treiben und leben. Nach der Machtübernahme der Habsburger sank der Einfluss der jüdischen Gemeinschaft, in kultureller Hinsicht erlebten die Juden in dieser Zeit allerdings ihre Blüte. Davon zeugen im 19. Jahrhundert jüdische Zeitungen und die Einrichtungen von Schulen für Jungen und Mädchen. Im Verlaufe der Einwohnerzählungen machte die jüdische Bevölkerung in Ternopil fast gleichbleibend 50 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Unter deutscher Besatzung

 

Umso schwerer wiegen die Verbrechen der Deutschen in der Stadt. Wenige Tage, nachdem die Stadt von der Wehrmacht besetzt worden war, kam es zu ersten Massenerschießungen – vom 4. bis zum 11. Juli kamen 5.000 Juden ums Leben. Als eines der ersten in ganz Galizien überhaupt, richteten die deutschen Besatzer in Ternopil ein Ghetto ein. 12.500 Menschen fanden auf engstem Raum wenig Platz zum Überleben. Dennoch versuchten die Juden durch die Einrichtung von Schulen, Waisenhäusern und Altersheimen so viel Normalität wie möglich herzustellen. Zwischen dem 25. März 1942 und dem 6. August 1943, dem Tag der Auflösung des Ghettos und endgültigen Vernichtung der Juden, geschah systematisch Grausames. Zwischen August und September 1942 deportierten die Deutschen rund 5.000 Juden in das Vernichtungslager Belzec. Wer danach noch im Ghetto zurückblieb und als kräftig genug angesehen wurde, musste in einem Arbeitslager körperliche Schwerstarbeit unter Zwang verrichten. Am 6. August 1943 wurde jegliches verbliebene jüdische Leben in Ternopil vernichtet. Rund 200 Juden überlebtenin Verstecken polnischer Mitbürger oder fern der Heimat in Sibirien die Verbrechen der Deutschen.

Bis in die 1960er Jahre etablierte sich eine kleine jüdische Gemeinschaft und rund 500 Juden lebten in der Stadt. Die einstige alte Synagoge, dort, wo sich Anfang der 1940er Jahre auch das Ghetto befand, ist bis heute in einem ungenutzten und heruntergekommenen Zustand. Die immer noch vorhandene jüdische Gemeinschaft organisiert ihr Leben in einem Gemeindezentrum, einem Sonntags- und einem Frauenclub. An die Verbrechen gegen die Juden im zweiten Weltkrieg erinnert seit 1996 ein Denkmal in der Stadt.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

unsere gesamten Eindrücke aus Ternopil Ternopil

Jüdische Spuren in Czernowitz.

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Eingliederung der Bukowina in den rumänischen Staat 1918 begann eine Zeit wachsender Konflikte und wechselnder Herrschaft in der Region.

 

Die erste Phase der rumänischen Herrschaft war vor allem durch Rumänisierungsversuche der Bukowina im Allgemeinen und Czernowitz im Besonderen geprägt. Die Regierung förderte die Migration von Rumänen in die neu erschlossenen Gebiete, um das demographische Profil der Region an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Außerdem wurde das Bildungssystem angepasst, sodass Unterricht nur noch auf Rumänisch stattfand. So sollte die zu „ethnischen Minderheiten“ gewordene Mehrheitsbevölkerung der Region an die rumänische Leitkultur angepasst und die Bildungschancen ethnischer Rumänen gesteigert werden.

 

Diese Politik scheiterte jedoch größtenteils gerade in städtischen Räumen wie Czernowitz. Zwar wurden jüdische Studierende aus der Universität verdrängt, während die Zahl rumänischer Studierender wuchs, jedoch gelang es nicht, die deutsche bzw. europäische Kultur aus Czernowitz zu verdrängen: Was an öffentlichen Schulen nicht mehr gelehrt wurde, wurde im privaten Heimunterricht vermittelt, sodass sich die jüdisch-deutsche Bevölkerung weiterhin ihrer architektonischen, literarischen und kulturellen Tradition bewusst war und daran anknüpfte. Lediglich im Bereich des Städtebaus gelang es der Regierung, einige Erfolge zu verbuchen. So wurden neue Gebäude in einem eher rumänisch geprägten Stil gebaut (welche allerdings das ohnehin multikulturell geprägte Stadtbild kaum störten) und österreichische Monumente wurden durch rumänische ersetzt, die vor allem den Sieg über Österreich propagierten.

Das Deutsche Haus in Czernowitz.

Konfliktgeladene Monumente wie diese fanden ihr Äquivalent auch im Lebensalltag der Bürger wieder: Während die jüdisch-deutsche Bevölkerung selbstbewusst auf ihre deutsche Kultur blickte und die ihr aufgezwungene rumänische Kultur als minderwertig betrachtete, wuchsen antisemitische Ressentiments in der rumänischen Bevölkerung, welche im städtischen Judentum nur die kosmopolitische und korrupte Elite sah.

 

Dieser Konflikt erklärt auch, dass es im Rahmen der Annexion Bessarabiens und der nördlichen Bukowina in die Sowjetunion 1940 gegenläufige Flüchtlingsbewegungen sowohl nach Rumänien, als auch in die Sowjetunion gab. Letztere vertrat jedoch, wie zuvor Rumänien, ebenfalls die Bildung einer „Identitätsstiftung von oben“, nun im Sinne eines ukrainischen Nationalismus. Die Position einer Zugehörigkeit der Bukowina zur ukrainischen Nation wurde hier hauptsächlich von Seiten der Kommunisten vertreten. Unterstützung in dieser Ansicht bekamen sie bald von der „angewandten Ethnographie“ der Sowjetunion, deren Aufgabe darin bestand, strategische Interessen mit einer wissenschaftlich anmutenden Legitimation zu versehen. So wurde bald auf verschiedenen Wegen versucht, das Bild der Bukowina als „rückständigen und unterdrückten Bruder“ der Ukraine zu verbreiten, der durch die Sowjetunion befreit worden sei. Dazu dienten Bücher, Dokumentationen, Museumsausstellungen sowie auch Handreichungen für die in die Region versetzten Funktionäre.

 

Zudem gab es den Versuch, ein Bücherverbot für Bücher durchzusetzen, die den Zielen der Sowjetunion widersprachen (beispielsweise mystische, monarchistische, trotzkistische, menschewistische, pornographische oder auch solche, die einen unliebsamen Nationalismus vertraten), was zwar in öffentlichen Einrichtungen gelang, nicht aber in den Privathaushalten.

 

Ähnlich problematisch gestaltete sich auch die Umsiedlung von Deutschen nach Deutschland, die auf den Konflikt stieß, dass Deutschland die jüdische Bevölkerung fernhalten und Staatsfeinde der Sowjetunion aufnehmen wollte, während die Sowjetunion sich andersherum um eine Aussiedlung der Juden bemühte und Staatsfeinde in ihrem Einflussbereich behalten wollte.

 

So wurden die verbliebenen Juden, die als Träger der bourgeoisen deutschen Kultur betrachtet wurden, Opfer von Diskriminierung, Inhaftierungen und Deportationen. Mit 3500 bis 4000 Betroffenen aus Czernowitz und den umliegenden Dörfern in den Jahren 1940-1941 machten die Juden einen großen Anteil der Deportierten aus.

 

Es waren allerdings nicht nur Juden von diesen Deportationen betroffen. Insgesamt 10.000 bis 11.000 Menschen wurden aus der nördlichen Bukowina in die östlichen Territorien der Sowjetunion deportiert, weil sie verdächtigt wurden, rumänische Staatsangestellte gewesen zu sein, die Grenze überquert haben zu wollen oder zu anderen unliebsamen Gruppen zu gehören: sogenannten Landherren, Fabrikbesitzer, Großhändler, Aktivisten konterrevolutionärer Parteien, Kriminellen oder schlicht Verräter.

 

Mit dem Kriegsbeginn und dem Vorrücken der Achsenmächte in die Sowjetunion im Sommer 1941 entstand eine kurze (etwa zweiwöchige) Phase des Machtvakuums in Czernowitz und Umgebung, in der es sowohl zu Gewalt gegen die Besatzer, als auch zu anti-jüdischer und anti-sowjetischer Gewalt kam. In den frühen Kriegstagen fielen so rund 10.000 Juden den Gewaltausbrüchen zum Opfer, die von Rumänien, Ungarn, Deutschland sowie auch von ukrainischen Nationalisten aus Galizien ausgeführt wurden.

 

Bis Oktober fand daraufhin eine relative Stabilisierung der Lage statt. Die verbliebenen Juden mussten nun Zwangsarbeit leisten, bis schließlich ein jüdisches Ghetto in Czernowitz eingerichtet wurde, in dem 50.000 Menschen auf einem Platz eingepfercht wurden, der eher für 5.000 geeignet gewesen wäre. Darüber hinaus wurden 90.000 Juden aus der Bukowina nach Transnistrien deportiert, von denen bis zur Rückeroberung durch die Sowjetunion 1943 rund 40.000 Opfer von Haftbedingungen und Exekutionen wurden.

 

Nachdem die Region um Czernowitz im April 1944 von der Sowjetunion zurückerobert wurde, wiederholte sich nach dem Friedensschluss die Sowjetisierung der nördlichen Bukowina. Während es dabei in vielerlei Hinsicht zu einer Wiederholung der ersten Sowjetisierung kam, sind allerdings auch Unterschiede festzustellen, von denen der verheerendste wohl die neue Einstellung der Sowjetunion gegenüber der „jüdischen Nationalität“ war.

 

Während die antisemitische Propaganda in der Bevölkerung bereits entsprechende Einstellungen verbreitet hatte, wurden sie nun auch vom Staat getragen. Die durch den Holocaust verstärkte Bedeutung der jüdischen Kultur und Herkunft für die Selbstidentifikation der Juden sowie deren Kosmopolitismus und Sympathie mit einem jüdischen Nationalstaat machten sie der politischen Führung verdächtig. Zudem genügte meist die bloße Tatsache, dass ein Jude oder eine Jüdin den Holocaust überlebt hatte dafür, ihn/sie der Kollaboration zu verdächtigen. Verstärkt wurde diese Antipathie noch dadurch, dass die Czernowitzer Juden Deutsch sprachen und deutsche Literatur lasen. Der Hass auf alles Deutsche, der im Rahmen des sowjetischen Patriotismus der Nachkriegszeit gefördert wurde, machte – der Shoah zum Trotz – auch vor deutschsprachigen Juden nicht halt.

 

Für weiteres Konfliktpotential sorgte die Wohnungsnot nach dem Krieg, da auf der einen Seite viele Wohnungen nicht mehr bewohnbar waren, auf der anderen Seite aber ein regelrechter Zustrom von Menschen stattfand. So kamen demobilisierte Rotarmisten, Heimkehrer aus der Gefangenschaft in Transnistrien (darunter nicht nur Einheimische aus der Bukowina), Verwandte und von Betrieben angefragte Spezialisten in die Region. Dieser Zuzug führte bemerkenswerterweise dazu, dass 1944 mehr Juden und Jüdinnen in Czernowitz lebten (je nach Schätzung 42-70%), als noch 1930 (38%).

 

Diesem Problem nahm sich die sowjetische Führung durch ein Programm „ethnischer Säuberungen“ an, wie sie auch in anderen Regionen zu dieser Zeit durchgeführt wurden.

 

Diese begannen damit, dass Juden, die gerade erst aus der Gefangenschaft zurückkehrten, zur Arbeit in Industriegebieten wie dem Donbas (an der sogenannten „Arbeitsfront“) eingezogen wurden, obwohl sie wohl kaum in einem Zustand waren, der es ihnen ermöglichte, in der Industrie zu arbeiten. In einem Bericht an das „Jüdische Antifaschistische Komitee“ wurde daher vermutlich zu Recht der Verdacht geäußert, dass das Ziel der Mobilisierung nicht darin gelegen habe, Arbeitskraft bereitzustellen, sondern die Demographie der Stadt zu verändern.

 

Eine wesentlich offenere, wenn auch harmlosere Form nahmen diese Säuberungen als Bevölkerungsaustausch mit Rumänien in den Jahren 1945 und 1946 an. So wurden Rumänen und Juden rumänischer Herkunft nicht deportiert, sondern zu einer Ausreise in ihr „Heimatland“ gedrängt. Im Falle der Juden geschah dies allerdings ohne Rücksprache mit der rumänischen Regierung, sodass sie in Rumänien ebenso unwillkommen waren, wie in der Sowjetunion und das Land in vielen Fällen so bald wie möglich wieder verließen. Die größten Profiteure dieser Säuberungen dürften die Angestellten des sowjetischen Innenministeriums gewesen sein, die sich im Rahmen von Bestechungen und Enteignungen persönlich bereicherten.

Auch diese Säuberungen stellten allerdings keinesfalls ein Ende des jüdischen Lebens in Czernowitz und Umgebung dar. Zur großen Frustration der ukrainischen Führung hatte sich das Bild von Czernowitz als jüdisches Zentrum bereits so weit verbreitet, dass aus verschiedenen Teilen der Sowjetunion (vor allem aus der Ukraine und Moldawien) Juden und Jüdinnen eintrafen, um dort zu leben. Selbst im Jahre 1959 war Czernowitz daher mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 20% noch das größte Zentrum jüdischen Lebens in der Ukraine.

 

Die neu zugezogenen Juden taten sich allerdings schwer mit der Integration in die Reste der noch bestehenden Gemeinde. Da sie eine Kultur pflegten, die auf der jiddischen und russischen Sprache beruhte, blickten die Czernowitzer Deutsch-Juden, die ihre Kultur als überlegen betrachteten, auf sie herab.

 

Die lokalen Eliten, die durch ein gezieltes Förderungsprogramm der Regierung bald hauptsächlich ukrainisch geprägt waren, unterhielten ein Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung, das zwischen persönlichem Machtmissbrauch und einer „Laissez-Faire“-Haltung wechselte. Ideologisch geprägte Konflikte in Dimensionen, wie sie in den 1940er Jahren ausgetragen wurden, blieben in der Folgezeit allerdings aus.

unsere gesamten Eindrücke aus Czernowitz  Czernowitz