Grenzräume
Erinnerungslandschaften in der westlichen Ukraine
Die Meet Up-Projekte 2015 und 2016, durchgeführt am Historischen Institut der Ruhr Universität Bochum mit Kooperationspartnern aus der Ukraine, setzen sich mit verschiedenen Erinnerungskulturen und ihrer Widerspiegelung in den städtischen und ländlichen Räumen der westlichen Ukraine auseinander. Wir gehen davon aus, dass historische Erinnerungen das Selbstverständnis von Menschen und Gesellschaften und damit auch die Gegenwart prägen. Dies zeigt sich am besten immer dort, wo Brüche auftreten, wo verschiedene Erinnerungskonstruktionen aufeinander treffen und zu offenen Kontroversen führen, wie es gegenwärtig in der Ukraine der Fall ist. So versuchen wir mit Hilfe dieser Website, der 2015 konzipierten und gezeigten Ausstellung und des 2016 erfolgten Oral-History-Projektes die komplexen Beziehungen zwischen Vergangenheit und ihrer Erinnerungs- bzw. Vergessensformen zu veranschaulichen.
Wir gingen auf eine intensive Spurensuche in den lokalen und regionalen Gemeinschaften der westlichen Ukraine und erkundeten deren konfessionelle, kulturelle, sprachliche und auch nationale Selbst- und Fremdzuschreibungen. Besonders im Fokus standen dabei mögliche Wendepunkte des Zusammenlebens unter dem Einfluss von wechselnden politischen Herrschaftsansprüchen, öffentlichen Machtdiskursen und Zeiten eskalierender Gewalt. Durch diese Herangehensweise wollen wir zur Überwindung des traditionellen Umgangs mit „zu Stein gewordenen Erinnerungskulturen“ beitragen und die Mechanismen der Erinnerungsgestaltung Schicht für Schicht entblättern. Ostgalizien, Wolhynien, die Bukowina und Podolien als Regionen kultureller Vielfalt, deren Geschichte gerade darin bestand, dass sich ihr Selbstverständnis nicht einfach auf einen nationalistischen Nenner bringen ließ, bieten sich in besonderer Weise dazu an.
Hier erhalten Sie weiterführende Informationen zum historischen Kontext:
Die Karte Europas lässt sich als vielschichtige Überlagerung von Erinnerungslandschaften lesen. Diese physischen Räume (auf Karten durch Grenzen und Orte gekennzeichnete Staaten, Regionen und Landschaften) und mentalen Vorstellungsorte (mental maps, ‚Karten im Kopf‘) beinhalten historische Narrative, die in nationale, regionale und lokale Geschichten eingebettet werden. Jede europäische Gesellschaft entwickelt dabei eigenen Umgang mit ihrer Vergangenheit; die daraus resultierenden historischen Narrative kristallisieren sich in offiziellen Gedenk- und Erinnerungsorten.
Eine dominante Rolle spielen hierbei im öffentlichen Raum zur Schau gestellte Medien des nationalen Diskurses wie Denkmäler, Gedenktafeln, nationale Institutionen oder Stadt-, Straßen- und Platznamen. Als symbolische Vermittlungsinstanzen nehmen sie die Spezifiken nationaler Narration auf, reduzieren die Komplexität, verleihen Bildhaftigkeit und Emotionalität. Sie strukturieren öffentliche Räume als Erinnerungsorte, die in ihrer Vielfalt die symbolischen Landschaften der Nation herstellen, und geben Auskunft über die Erinnerungsdiskurse einer Gemeinschaft im Wandel der Zeit.
Aus diesem Grund sind sie zentraler Untersuchungsgegenstand einer kulturgeschichtlich ausgerichteten, historischen Erinnerungsforschung für die Ergründung von historischen, nationalen Meistererzählungen als identitätsstiftende und integrative Kraft.