Mizoch - Gemeinde in Wolhynien

 

Mizoch war, und ist bis heute, eine kleine Gemeinde in Wolhynien. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten hier Juden, Ukrainer, Polen und Tschechen als Nachbarn zusammen. Im Februar 1944, als die Region bereits sowjetischer Verwaltung unterlag, wurde dem Ort sein Stadtstatus aberkannt. Seither ist Mizoch eine sogenannte „stadtähnliche Siedlung“. Doch was war passiert, dass der Ort, der seit 1761 eine Stadt gewesen war, seinen Status als Stadt verlor?

 

Dieses Ereignis hing eng zusammen mit der Vertreibung und Ermordung der ansässigen Juden/innen sowie mit der erzwungenen Umsiedlung der in Mizoch lebenden Polen/innen während der Zeit unter deutscher Besatzung. Die Erinnerungen an diese Zeit beschäftigen die Überlebenden und ihre Nachkommen bis in die Gegenwart. Noch heute leben in Mizoch Menschen, die sich als Zeitzeug/innen an die Verbrechen der Nationalsozialisten, an die Errichtung des Ghettos und andere traumatische Ereignisse erinnern.

Die ukrainische Studentin Roksolana K. im Gespräch mit einer Zeitzeugin aus Mizoch.

Im Juni 1941 fielen die Deutschen in Mizoch ein. Das Leben änderte sich auf verheerende Weise, auch, weil alle Juden/innen registriert wurden und nach und nach von den nicht-jüdischen Einwohner/innen versucht wurden zu isolieren, etwa dadurch, dass sie sich durch Markierungen an ihrer Kleidung stetig als Menschen jüdischer Herkunft auszuweisen hatten. Zunehmend gab es Repressionen, wie etwa, dass die Einwohner/innen von Mizoch nachts ihre Häuser nicht verlassen durften. Zudem kam es bereits 1941 zu Massenerschießungen von Juden/innen durch die SS, die Einsatzgruppe C und die Ordnungspolizei sowie zu Überfällen auf Juden, auch durch die von den Deutschen aufgestellte ukrainische Schutzmannschaft. Im Frühjahr 1942 wurde ein Ghetto errichtet, in das die Juden/innen unter Zwang umziehen mussten und welches stetig bewacht wurde, so dass eine Flucht beinahe unmöglich war. Die Lebensumstände verschlechterten sich drastisch, die kleinen Wohnungen, in denen unzählige Menschen zusammengepfercht beisammen lebten, waren nicht beheizt und es mangelte an Nahrung.

 

Im Oktober 1942 kam es dann zu einem für die Stadt Mizoch traumatischen Verbrechen: Das Jüdische Ghetto wurde in der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober von ukrainischen und deutschen Polizisten abgeriegelt und umstellt. Viele der Eingeschlossenen versuchten zu fliehen, doch die Flucht gelang nur wenigen. In den folgenden Tagen wurden tausende Juden, die Zahlen schwanken zwischen 1.700 und 4.000 insgesamt, von dem Tötungskommando der Sicherheitspolizei und des SD, meist durch Genickschüsse, ermordet.

 

Noch heute wird an verschiedenen Stellen den Opfern des Holocausts in Mizoch gedacht, allerdings teilweise nur im geringen Maße. Ein Grund könnte sein, dass heutzutage keine jüdischen Bürger/innen mehr in Mizoch leben. Dennoch scheint es wichtig, dass die Erinnerung an die ehemaligen Einwohner/innen und ihr Schicksal wachgehalten wird. Doch einige der Denkmäler, die an sie erinnern, sind, aufgrund mangelnder Pflege und fehlendem Interesse, heute nicht mehr gut erhalten. Durch die Arbeit von lokalen Expert/innen und Historiker/innen wird versucht, dem Verfall der Denkmäler, aber auch dem Verfall von Wissen und dem Vergessen entgegenzuwirken. Einer dieser Lokalhistoriker ist Roman Mykhalchuck, der ein Buch über die Geschichte Mizochs und die damit verbundene Erinnerungskultur verfasste, sowie ein Archiv der Zeitzeugenberichte einrichtete. Seine Expertise war für die Exkursion, während der die genannten Interviews geführt wurden, von großer Wichtigkeit. Er organisierte eine Führung durch das Dorf, zeigte und erklärte den Studierenden die noch vorhandenen Denk- und Mahnmäler und stellte den Kontakt zu den interviewten Zeitzeug/innen her.

 

Deutsche und ukrainische Studierende gemeinsam mit den Interviewpartnern vor dem Verwaltungsgebäude der Gemeinde Mizoch.

 

Sowohl das jüdische Ghetto also auch der Ort der Massenerschießung sind in Mizoch weder gekennzeichnet noch eingezäunt, allerdings wurde nahe dem Ort, an dem die Erschießungen stattfanden, Ende der 1980er Jahre ein Mahnmal errichtet, welches an die Opfer der grausamen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges erinnern soll.

 

In Mizoch gab es zudem ursprünglich einen großen jüdischen Friedhof, allerdings ist nur ein kleiner Teil von diesem noch heute erhalten. Die Überreste wurden im Jahr 2015 eingezäunt, jedoch führt heute eine Straße über einen Teil des ehemaligen Friedhofs, andere Bereiche sind heute in Privatbesitz und werden als Weidefläche genutzt.

 

Die Erinnerung an das Beschriebene spricht, wie die Interviews zeigen, aber eben nicht bloß aus den Denkmälern, die in Mizoch zu finden sind. Sie findet sich auch bis in die Gegenwart in dem von den Interviewten Erzählten wieder. Häufig spricht auch heute noch die Angst, etwas vermeintlich Falsche oder Verbotenes zu sagen aus den Zeitzeug/innen. Auffällig ist aber auch, wie sich Erinnerung und Dinge und Geschehnisse, die die Interviewten nicht selbst erlebt, sondern von denen ihnen nur erzählt wurde, überlagern und miteinander vermischen. Dennoch geben die Interviews Aufschluss über unterschiedliche Erinnerungsformen und –kulturen. Die Zeitzeug/innen reagierten auf das Gefragte, je nachdem wie der Interviewende die Frage stellte und formulierte, unterschiedlich. Sie sprachen, auch das wurde schnell offenbar, zum Einen über Dinge, die sie sehr offensichtlich schon des Öfteren erzählt haben, aber zum Anderen auch, je nachdem, was gefragt wurde, über Erlebnisse und Erinnerungen, die eventuell schon, auch für die Interviewten selbst, seit längerem nicht mehr sehr präsent waren.

 

Zu den Interviews in Mizoch